Ein Jahr in Katzendorf

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Das Rumänische Kulturinstitut in der Reinhardtstraße in Berlin. Im Hintergrund der Friedrichsstadt-Palast

Gestern hatte ich die Gelegenheit, an einer spannenden Veranstaltung teilzunehmen. Frau Carmen-Fancesca-Banciu, Schriftstellerin aus Berlin, geboren in Lipova/Rumänien, stellte Erfahrungen und Ergebnisse ihrer Zeit als Dorfschreiberin von Katzendorf (rumänisch Cața) vor. Ich hatte das Buch „Vaterflucht“ von Frau Banciu gelesen und war im November 2015 kurz in Katzendorf. So war ich sehr gespannt auf die Veranstaltung, eine Kooperation zwischen der Deutsch-Rumänischen Gesellschaft e. V. sowie dem Rumänischen Kulturinstitut „Titu Maiorescu“ (RKI) in Berlin. Letzteres liegt nach einem vor kurzem erfolgten Umzug sehr zentral und gut erreichbar in Berlin-Mitte, fünf Gehminuten vom S-Bahnhof Friedrichstraße entfernt.

Und noch ein Punkt machte die Veranstaltung für mich attraktiv: Dorfschreiberin wurde Frau Banciu aufgrund einer Initiative von Frieder Schuller, der 1943 in Katzendorf geboren wurde und in Heldsdorf seine Kindheit und Jugend verbracht hat. Sein Vater, Georg Schuller, hatte nach dem Zweiten Weltkrieg die Pfarrstelle in Heldsdorf übernommen.

Frieder Schuller hat nach der Wende in Rumänien das Pfarrhaus in Katzendorf renoviert, das er seit 2011 den von einer Jury ausgesuchten Dorfschreibern für ein Jahr zur Verfügung stellt. Aufgabe der Dorfschreiber ist: „[Er] kann und soll sich umsehen, in die Sprache der Dorfbewohner hineinhören, sich wundern, mitreden um einen Dichterbeitrag zum gegenwärtigen Transsylvanien hinzuzufügen“. Frau Banciu hat den Dorfschreiberpreis als erste Frau 2014 verliehen bekommen und sich neugierig der Herausforderung gestellt.

Eine Herausforderung war der Aufenthalt in Katzendorf alleine dadurch, da Frau Banciu in Berlin lebt, ursprünglich von Rumänien aus aber nach Paris ziehen wollte. Katzendorf und Berlin beziehungsweise Paris liegen nun aber relativ entfernt auseinander an unterschiedlichen
Enden einer Urbanitätsskala.

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Carmen-Francesca Banciu

Katzendorf ist ein zwar ursprünglich sächsisch geprägter Ort, in dem jedoch heute nur noch eine Sächsin mit ihrem Sohn lebt. Auch Rumänen und Ungarn stellen nur einen geringen Anteil an der Bevölkerung: 80 Prozent der Bevölkerung sind Roma.

Frau Banciu las mehrere Geschichten vor, die in der Zeit in Katzendorf entstanden sind: In einer Geschichte stand Charlotte im Mittelpunkt, die aus Thüringen nach Katzendorf gezogen ist, dort ein Haus gekauft und rumänisch gelernt hat und zum Ziel hat, eine Ziegenkäserei aufzubauen. In einer weiteren Geschichte – „Halloween in Cața“ – ging es um die fieberhaften Vorbereitungen der Dorfkinder auf Fasching. In „Warum läuten die Glocken, Frau Markus?“ um eine Sächsin – „die gute Seele des Dorfes“ – die die Sommer in Katzendorf verbringt und zu Beerdigungen von in der Ferne verstorbenen Katzendörfern die Glocken läuten lässt. In „Letzter Tag in Katzendorf“ erzählt sie, dass ihr in der letzten Nacht sechs Welpen vor die Haustür gelegt wurden. Sie thematisiert in der Geschichte die Hoffnungslosigkeit der Welpen, die im Winter auch kein Nachbar aufnehmen wollte und die nicht, wie sie, einfach abreisen konnten.

Beeindruckt war Frau Banciu von den viele Initiativen im Ort, über die Privatleute oder Unternehmen versuchten, den Dorfkindern, die zu Hause zum Teil nur wenig oder keine Unterstützung und Förderung erhielten, zum Beispiel eine Grundausbildung zu verschaffen. Dies erfolgt über viel persönlichen Einsatz, zum Teil aber auch über greifbare Anreize wie zum Beispiel einem Mittagessen, das jedoch nur die Kinder erhalten, die an dem Tag auch die Schule besucht haben. Als frustrierend beschrieb sie aber gleichzeitig, dass die Bemühungen nur begrenzt Früchte tragen, da das soziale Umfeld der Kinder abseits der Schule die Ausbildung der Kinder weitgehend ignoriert.

Erfahrungen von Carmen-Francesca Banciu in Katzendorf sind auch auf der Homepage von Deutschlandradio Kultur veröffentlicht.

 

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Carmen-Francesca Banciu im Gespräch mit Marianne Theil, der Moderatorin der Veranstaltung von der Deutsch-Rumänischen Gesellschaft

 

Nach dem offiziellen Teil der Veranstaltung gab es noch einen kleinen Empfang. Ich nutzte ihn, um Claudia M. Florian anzusprechen, den stellvertretenden Leiter des RKI in Berlin. Claudiu Florian wurde in Reps geboren und aufgewachsen (Hoi riet och suaksesch) und hat vor mehreren Jahren über seine Kindheit das Buch „Zweieinhalb Störche“ geschrieben. Mehr über ihn erfährt man in einem Interview der ADZ, das Anfang des Jahres erschienen ist.

Herr Florian hat vor wenigen Tagen als einer von zwölf Autoren den Europäischen Literaturpreis 2016 erhalten, und zwar für die rumänische Übersetzung und Erweiterung von „Zweieinhalb Störche“ (rumänischer Titel „Vârstele jocului. Strada Cetăţii“).

„Zweieinhalb Störche“ steht seit Jahren auf meiner Wird-demnächst-gelesen-Liste. Nun ist es in dieser ganz nach oben gerückt. Ich werde berichten.

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Frieder Schuller im Gespräch mit einem Besucher der Veranstaltung

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